Mit dem 21. Juni wird auf der Nordhalbkugel der Erde, also unter anderem in Deutschland, kalendarisch betrachtet der Sommer eingeläutet. Mit dem Sommeranfang beginnt für viele die schönste Zeit des Jahres: Wärme, Leichtigkeit, Freude und Unbeschwertheit. Eine Zeit, in der die einzige Verpflichtung darin besteht, die Sommerlektüre abzuarbeiten, tagzuträumen und sich von links nach rechts zu drehen, damit nicht nur die eine, sondern auch die andere Pobacke etwas Bräune abbekommt.
Für mich ist der Sommer seit vielen Jahren vor allen Dingen eins: extrem herausfordernd.
Mein gestörtes Verhältnis zum Sommer
Wenn ich an den Sommer denke, erinnere ich mich in erster Linie an Freibad- oder Seebesuche und daran, mich für meinen Körper geschämt zu haben. Ich erinnere mich an Sommer, die ich nicht im Urlaub, sondern in der Klinik verbracht habe. Und Sommer, in denen ich zwar im Urlaub war, aber nichts genießen konnte, weil ich permanent nach Möglichkeiten gesucht habe, um mich vor dem Essen zu drücken.
Ich erinnere mich an Gartenpartys oder Hochzeiten und daran, dass sie für mich jedes Mal über der Kloschüssel endeten. Ich erinnere mich an Sommerdiäten und daran, meinen Körper bei 40 Grad im Fitnessstudio an seine Grenzen getrieben zu haben. Ich erinnere mich an all die Eisdielen oder Obststände, an denen ich vorbeigelaufen bin, ohne mir etwas zu kaufen, weil das nicht in meine Kalorien gepasst hätte.
Ich erinnere mich an Streit mit meinen Eltern, an Panik vor dem Zunehmen und Angst vor den Blicken am Strand.
Vor allen Dingen aber erinnere ich mich an mein schlechtes Gewissen. Mein schlechtes Gewissen dem Sommer und meinem Leben gegenüber, weil wieder ein Jahr vergangen ist, in dem ich es nicht geschafft habe, meine Essstörung zu heilen.
Mein Sommerversprechen
Was du seit einem Jahr auf meinem Blog oder Instagram siehst, ist das Ergebnis all dieser Erfahrungen, die den Wunsch nach Heilung haben immer stärker werden lassen. Was du seit einem Jahr auf meinem Blog oder Instagram siehst, ist nur möglich, weil ich letztes Jahr den Entschluss gefasst habe, mutig zu sein und Schritt für Schritt den Weg in Richtung Heilung zu gehen. In diesem Jahr ist viel passiert: Ich bin stärker und reifer geworden. Habe mich entwickelt und bin über mich, meine Ängste und Zweifel hinausgewachsen. Und genau deshalb hält dieser Sommer das erste Mal seit über zehn Jahren die Möglichkeit bereit, besser zu werden. Vielleicht nicht vollkommen unbeschwert, leicht und frei. Aber eben ein gutes Stück unbeschwert-er, leicht-er und frei-er.
"In diesem Sommer verspreche ich mir, Spaß zu haben und am Leben teilzunehmen. Das heißt keine Treffen mehr auszuschlagen, nur weil ich Angst habe, Situationen nicht gewachsen zu sein.
Ich verspreche mir, Herausforderungen anzunehmen. "Ja" zu sagen und in allem eine Chance für mein persönliches Wachstum zu sehen.
Ich verspreche mir, meinen Körper anzunehmen. So wie er jetzt gerade ist. Keinen Widerstand mehr zu leisten, weil er sich verändert hat und sich womöglich weiter verändern wird.
Ich verspreche mir, mich nicht mehr zu vergleichen. Weder mit dem „essgestörten Selbst“, das ich einmal war noch mit anderen, die vermeintlich schöner oder schlanker sind als ich.
Ich verspreche mir, meinem Körper mit Mitgefühl und Dankbarkeit zu begegnen, weil ich nur mit und durch ihn das Leben erfahren kann. All die Höhen und Tiefen. Die nun mal einfach dazugehören.
Ich verspreche mir, meinen Körper zu nähren. Gut für mich zu sorgen, damit ich bei den heißen Temperaturen leistungsfähig bleibe.
Ich verspreche mir aber auch, meine Bedürfnisse zu achten und mich auszuruhen, wenn ich erschöpft bin.
Ich verspreche mir, stolz auf mich zu sein. Mich für jeden Schritt, den ich auf meinem Weg gehe, anzuerkennen. Ich verspreche mir aber auch, mich nicht zu verurteilen, wenn nicht alles auf Anhieb klappt."
Ein Versprechen ist eine Entscheidung auf Dauer
Letztes Jahr habe ich die vielleicht wichtigste Entscheidung meines Lebens getroffen. Als ich mich dafür entschieden habe, meiner Herzensstimme zu folgen und sowohl an mich als auch an Heilung zu glauben, hatte ich keine Ahnung, wie meine ersten Schritte geschweige denn mein Weg aussehen würden. Ich bin einfach losgegangen. Nicht ohne Ängste und Zweifel. Sondern trotz meiner Ängste und Zweifel.
Sich zu entscheiden ist ein mächtiges Instrument. Sich etwas zu versprechen ebenso. Denn ein Versprechen ist eine Entscheidung auf Dauer.
Ein Versprechen allein bringt nichts. Ein Versprechen darf nicht nur aus leeren Worten bestehen. Es ist die Umsetzung, auf die es ankommt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Sorgen und Ängste beinahe automatisch hochkommen, sobald es darum geht, tatsächlich ins Umsetzen zu kommen. Das kann bis zu dem Punkt führen, an dem wir uns selbst davon überzeugt haben, dass es nicht funktionieren wird. Und wenn wir uns davon überzeugt haben, dass es nicht funktionieren wird, handeln wir nicht.
Was wunderbar hilft, um sich nicht mehr in Sorgen und Ängsten zu verlieren, ist, dem Gehirn etwas zu geben, das ihm Sicherheit in anderer Form ermöglicht: einen Plan! In diesem Blogbeitrag möchte ich dir einen groben Fahrplan für den Sommer an die Hand geben. Soll heißen, wann immer du an einen Punkt kommst, der dich herausfordert, triggert oder Zweifel provoziert, kannst du hier noch einmal nachlesen bzw. im Podcast nochmal nachhören und dich von mir durch diese Situation begleiten lassen ♥
In diesem Sinne: Lass uns gemeinsam das Beste aus diesem Sommer machen. Lass uns etwas wagen und gemeinsam den nächsten Schritt in Richtung Heilung gehen.
Die typischen Trigger im Sommer
1.) Essverhalten
Es soll ja Menschen geben, die bei hochsommerlichen Temperaturen keinen oder kaum Hunger haben. Sätze wie „Bei dem Wetter geht nur was Leichtes!“ oder „Also ich kann bei dem Wetter nichts essen!“ haben mich in der Vergangenheit extrem getriggert und dazu geführt, dass ich mein eigenes Essverhalten noch kritischer hinterfragte als eh schon.
Mal abgesehen davon, dass ausreichend essen (und natürlich auch trinken) bei diesem Wetter für jeden Menschen wichtig ist, ist es für uns - diejenigen, die auf dem Weg aus einer Essstörung sind – von noch größerer Bedeutung, den Körper gut zu versorgen.
Deshalb möchte ich dir vor allen Dingen eines mitgeben: Bleib bei dir!
Falls du gut mit dem warmen Wetter zurechtkommst und Hunger verspürst, darfst du diesem natürlich nachgehen. Stick to your routine und grenze dich bewusst ab. Auch wenn das schwer ist. Es ist egal, wie viel andere essen oder nicht essen. Zum einen, weil jeder Mensch, jeder Körper und somit auch jeder Essbedarf individuell ist. Zum anderen aber auch, weil die Menschen in deinem Umfeld vermutlich nicht auf dem Weg aus einer Essstörung sind. Während es für sie also weniger schädlich ist, die ein oder andere Mahlzeit auszulassen oder nur eine Kleinigkeit zu essen, könnte das bei dir unter Umständen einen Rückfall triggern, was letztendlich zu einem noch schlechteren Gewissen führen würde.
Falls du zu den Menschen gehörst, die bei warmem Wetter tatsächlich weniger Hunger verspüren, setze vermehrt auf „leichte“ Kost. Damit meine ich nicht "kalorienarm", sondern "frisch". Auch Salate oder Smoothies kann man recovery-konform zubereiten. Ob Nudel-, Couscous- oder Reissalat – das sind gute Alternativen, die sich mit wenig Aufwand zubereiten und sogar ideal mitnehmen lassen. Smoothies werden unter Zugabe von gefrorenen Bananen, Haferflocken, Samen, Nüssen und Nussmuß zu einer sommerlichen Zwischenmahlzeit für deinen Weg aus der Essstörung.
Ganz wichtig ist, dass du an dieser Stelle ehrlich zu dir bist und das warme Wetter nicht als Ausrede benutzt, um weniger zu essen. Erinnere dich an deinen aktuellen Fokus und belüge oder sabotiere dich nicht selbst!
2.) Sommerdiäten & Bikinifigur
In keiner Jahreszeit liegt der Fokus so sehr auf dem Körper wie im Sommer. Ob es die Sommerdiät und der Wunsch von einer makellosen Bikinifigur ist. Oder die Freizügigkeit, die mit den warmen Temperaturen und sommerlichen Freizeitaktivitäten einhergeht.
Mir fällt es dieses Jahr besonders schwer, kurze Klamotten oder einen Bikini anzuziehen. Ja, mein Körper hat sich verändert. Ich habe zugenommen und noch fühle ich mich nicht wohl, geschweige denn angekommen in meinem „neuen“ Körper. Es gibt Tage, an denen alles okay ist. Aber auch Tage, an denen ich mich „zu dick“ fühle, auch wenn ich auf rationaler Ebene weiß, dass ich nicht dick bin.
Eine Begleiterscheinung von Essstörungen ist die verzerrte Wahrnehmung, die sogenannte Körper-Schema-Störung, auch Dysmorphobie genannt. Ich möchte dir sagen, dass nicht alles was du denkst, wahr ist. Genau so wenig entspricht all das, was du zu sehen glaubst, der Realität. Du hast einen Körper, aber du bist nicht dein Körper.
Wenn es dir unangenehm ist, dich in der Öffentlichkeit in Badehose bzw. Bikini oder kurzer Kleidung zu präsentieren, dann lass es. Du musst es dir nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Du musst auch keine Rechenschaft ablegen für die Kleidung, die du trägst oder eben nicht trägst. Vielleicht ist es auch bei dir das ungute Gefühl ausgelöst durch die Zunahme (die nicht verkehrt, sondern absolut richtig und wichtig war). Vielleicht ist es aber auch die Scham für deinen mageren Körper, die hochkommt, wenn du die irritierten Blicke in der Öffentlichkeit bemerkst (die es leider immer geben wird). T-Shirts, Strandkleider oder Umhängetücher können helfen, dein Wohlbefinden zu steigern.
Spüre in dich hinein: Was fühlt sich richtig an? Und was nicht?
3.) Soziale Veranstaltungen (Grillpartys, Gartenpartys & Co.)
Essen verbindet. Deswegen ist es auch im Sommer, auf Garten- oder Poolpartys, bei Grillabenden, Hochzeiten und und und stets präsent. Das Gemeine an einer Essstörung ist ja, dass sich das Essen nicht meiden lässt. Essen ist lebensnotwendig und die Konfrontation damit ist notwendig, um heilen zu können.
Früher gingen Einladungen zu sozialen Events für mich mit einer Menge Stress, Panik und Vorausplanung einher. Ich möchte nicht sagen, dass ich inzwischen vollkommen frei bin, aber ich schaffe es, mich bei negativen Gedanken und Gefühlen auf das zu besinnen, worum es geht:
Auf die Gemeinschaft, eine schöne Zeit und darum, Erinnerungen fürs Leben zu schaffen.
Grillabende oder Hochzeiten bringen den Vorteil, dass häufig ein Buffet geboten wird. Nimm das, was dir gut tut und überfordere dich nicht, wenn du nicht bereit für eine Herausforderung bist. Vielleicht verleiht dir das Zusammensein mit anderen aber auch einen Motivationsschub, weil du erkennst, wie lebenswert und unbeschwert das Leben sein kann. So ist das bei mir ganz oft. Das kannst du natürlich nutzen und einfach eine schöne Zeit in guter Gesellschaft mit gutem Essen genießen.
Gerade spontane Einfälle von Freunden oder der Familie a la „Wollen wir ein Eis essen?“ können im ersten Moment extrem herausfordernd sein. Versuche zwischen dem essgestörten Anteil, der das Eis natürlich am liebsten ausschlagen möchte, und dem gesunden Anteil, der vielleicht schon lange kein Eis mehr gegessen und insgeheim große Lust darauf hat, zu differenzieren.
Der gesunde Anteil in dir weiß, dass es keinen Grund gibt, dir bestimmte Lebensmittel zu verbieten. Es gibt keine „guten“ oder „schlechten“ Lebensmittel. Es ist einzig und allein deine Bewertung, die aus einem Eis oä. etwas „Gutes“ oder eben etwas „Schlechtes“ macht. Kein Eis der Welt ist ungesünder als deine Essstörung. Deine Essstörung ist der Knackpunkt, an dem es zu arbeiten gilt.
Außerdem: Was wäre der Sommer ohne Eis? Eben! Trau dich. Befrei dich von deinen Ängsten, Regeln, Zwängen und Verboten und genieße das Leben mit allem, was im Sommer dazugehört.
4.) Reisen
Nachdem Reisen lange Zeit nicht möglich war, sehnen sich viele Menschen in der „Nach-Corona-Zeit“ nach Sonne, Strand und Meer.
In der Einleitung habe ich bereits geschrieben, dass Reisen für mich lange Zeit nichts war, das ich genießen konnte. Gleichzeitig war es für mich ein großer Motivator, meine Essstörung zu heilen.
Denn was gibt es schöneres, als neue Kulturen kennenzulernen? Der Reiz des Fremden und Neuen. Das Ausbrechen aus dem Alltag.
Die Dinge, die mich heute am Reisen faszinieren, haben mir das Reisen während meiner Essstörung erschwert.
Man kann die Essstörung schließlich nicht einfach zuhause lassen. Durch etwas Vorausplanung kann es dir trotzdem gelingen, eine angenehme Zeit fern der Heimat zu verbringen. Die besten Erfahrungen habe ich gemacht, indem ich mit meiner Reisebegleitung offen über meine Ängste und Zweifel gesprochen habe.
Klar, möchte man eine gute Reisebegleitung sein und niemandem zur Last fallen. Doch Freunde, die Familie oder der Partner können einem Zuspruch schenken, für Ablenkung sorgen, wenn nötig und einen sicheren Rahmen schenken, wenn du einen Schritt aus deiner Komfortzone wagst und „Ja“ zu einer vorübergehenden räumlichen Veränderung sagst.
Vielleicht schaffst du es sogar, die Veränderung, die ein Urlaub mit sich bringt, in etwas Positives zu verwandeln. Den Urlaub als Chance zu sehen, neugierig zu sein und dich auszuprobieren. Wer weiß, vielleicht nimmst du sogar eine ordentliche Portion Motivation und Inspiration mit nach Hause?
Auch wenn es abgedroschen klingt: Die Zeit kommt nicht mehr zurück!
Ich hoffe, dass du es mit meinen Tipps schaffst, diesen Sommer einen Unterschied zu machen.
Frage dich, woran du dich in ein paar Jahren erinnern möchtest. Für mich steht fest, dass ich neue Erinnerungen schaffen möchte. Erinnerungen, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Erinnerungen an den Sommer meines Lebens.
Also, was ist dein Sommerversprechen?
Alles Liebe,
deine Saskia
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