Restaurant, Kino, Shopping, Freibad – Schon verrückt, wie viel man auf einmal wieder machen kann, oder? Irgendwie weiß man gar nicht so richtig, mit was man anfangen soll. Und irgendwie fühlt man sich durch all die Lockerungen fast schon unter Druck gesetzt. Zumindest geht es mir so. Während sich die meisten Menschen darüber freuen, endlich wieder Freunde zu treffen oder feiern zu gehen, bleibe ich lieber zu Hause. Gehe allein spazieren. Mache weiter das, was ich die letzten Monate auch schon gemacht habe.
Inzwischen stört mich das aber nicht mehr. Ich bin gerne allein. Ich bin nur nicht gerne einsam.
Alleinsein und Einsamkeit - der Unterschied
Alleinsein und Einsamkeit sind Begriffe, die häufig miteinander verwechselt werden. Wenn man es genau nimmt, bezeichnen sie aber zwei völlig unterschiedliche Dinge:
Alleinsein ist objektiv betrachtet nichts weiter als ein Zustand. Es ist die An- bzw. Abwesenheit anderer Menschen. Man kann beispielsweise allein im Büro sitzen und arbeiten. Man kann sich auch bewusst entscheiden, allein etwas zu unternehmen. Und zwar, ohne sich dabei einsam zu fühlen.
Einsamkeit ist ein Gefühl. Eine Empfindung, die man von außen nicht sehen, sondern nur im Innen spüren kann. Auch in einer großen Menschenmenge kann man sich einsam fühlen. Wer dieses Gefühl schon einmal erlebt hat, weiß, wie bedrückend das ist.
Wie entsteht Einsamkeit?
Wer einsam ist, dem fehlen nicht zwingend Menschen – sondern das Gefühl, von ihnen beachtet, anerkannt und gebraucht zu werden. Einsamkeit entsteht, wo die Verbindung fehlt. Meiner Meinung nach aber nicht nur die Verbindung zu anderen, sondern auch die Verbindung zu uns selbst.
Einsamkeit kann ein Hinweis darauf sein, dass wir uns mit unseren eigenen Gefühlen und Gedanken nicht wohlfühlen. Das Gemeine an Glaubenssätzen wie „Ich bin nicht gut genug.“ oder „Ich bin nicht liebenswert.“ ist, dass wir wie mit einem Vergrößerungsglas unbewusst genau die Erfahrungen wahrnehmen, die uns in diesen Annahmen bestätigen.
Das Gefühl der Einsamkeit wird verstärkt, weil wir den Unterschied zu anderen dadurch noch intensiver wahrnehmen und Gemeinsamkeiten unterbewusst komplett ausblenden.
Oft wünschen wir uns die tröstende Nähe eines anderen Menschen oder Gespräche, in denen unsere eigenen Sichtweisen und Denkmuster zurechtgerückt werden. Wir glauben, dass sich dadurch auch unsere Gefühle verändern werden, sodass wir uns endlich wohler fühlen. Das Problem daran: Der Weg der Liebe und damit die Verbindung zu anderen sowie zu dir selbst führt nach innen! Wenn du dich weniger einsam fühlen möchtest, darfst du also zuallererst auf Tauchstation in dein Inneres gehen.
Einsamkeit in der Kindheit
Obwohl ich in meiner Kindheit und Jugend selten allein war, weil ich eine intakte Familie und viele Freunde hatte, erinnere ich mich an einige Phasen und Situationen, in denen ich mich sehr einsam gefühlt habe. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl „anders“ zu sein. In Bezug auf mein Äußeres einerseits, weil sich vor der Essstörung viele meiner damaligen Freunde, Mitschüler oder Erwachsene negativ zu meiner Figur äußerten, was mich immer stärker an mir zweifeln ließ. In Bezug auf meinen Charakter andererseits, weil ich häufig dafür kritisiert wurde, zurückhaltend und in mich gekehrt gewesen zu sein. Ich war nicht unbedingt schüchtern, war aber einfach oft „in meiner eigenen Welt“. Ich habe gerne Zeit allein verbracht. Mir wurde oft gesagt, ich solle doch mehr rausgehen oder vorgehalten, ich würde auf eine Art reserviert wirken.
Durch meine Andersartigkeit habe ich schon immer eine Lücke zwischen mir und meinen Mitmenschen gespürt. Diese Lücke mochte ich nicht. Also habe ich mich verstellt, wodurch ich immer mehr den Kontakt, die Verbindung zu mir selbst verlor. So oft habe ich mich leer, verloren, traurig – ja, letztendlich einfach einsam - gefühlt.
Wieso die Essstörung einsam macht
Meine Essstörung glich einem Versteckspiel, das mich immer weiter in die Isolation getrieben hat: Ich bin früher von Geburtstagen, Veranstaltungen oder Partys gegangen, weil ich es nicht ausgehalten habe, mich nicht zu übergeben. Ich habe Treffen abgesagt, weil ich lieber stundenlang gegessen und erbrochen habe.
Später bin ich Situationen, in denen es etwas zu essen geben könnte, von vornherein aus dem Weg gegangen. Ich hatte immer eine Ausrede parat, habe meine Freunde gegen meine Eltern ausgespielt und umgekehrt. Wer nie dabei ist, wird irgendwann nicht mehr gefragt. Ich habe gar nicht wirklich wahrgenommen, dass ich immer einsamer geworden bin. Weil es mir egal war. Weil es ohnehin keine Gemeinsamkeiten, geschweige denn Gesprächsthemen mehr gab. Weil ich viel zu sehr mit den Themen in meinem Kopf beschäftigt war.
Die Essstörung hat mich komplett vereinnahmt. Ich war in mich gekehrt, brachte kaum noch einen Ton raus und wenn, dann sprach die Essstörung aus mir. Ich war wirklich keine angenehme Zeitgenossin, hatte Stimmungsschwankungen, sperrte mich in meinem Zimmer ein und ließ niemanden an meinen Gedanken und Gefühlen teilhaben. Ein paar Mal habe ich probiert, mich zu öffnen, mich dann aber einfach nicht verstanden gefühlt.
Auch der Weg aus der Essstörung war für mich noch mit viel Einsamkeit verbunden. Mal abgesehen von dem Wechselbad der Gefühle, das für Außenstehende leider größtenteils nicht nachvollziehbar ist, weil man ja eigentlich „einfach nur essen muss“, habe ich mich anfangs unglaublich geschämt. Ich habe mich geschämt, zunehmen zu müssen. Ich habe mich geschämt, mit anderen zu essen. Ich habe mich geschämt, ein Problem mit etwas zu haben, das für andere das Banalste der Welt zu sein schien.
Wie ich es geschafft habe, mich nicht mehr einsam zu fühlen
Auch wenn ich es mir lange Zeit gewünscht habe: Die Entscheidung für Heilung hat nicht von heute auf morgen alles verändert. Inzwischen verstehe ich, dass Heilung ein Prozess ist. Und dass es wichtig ist, sich dafür ausreichend Zeit zu nehmen. Die Essstörung hat mich auf Missstände in meinem Leben aufmerksam gemacht. Der Heilungsweg hat mich gezwungen, mir diese Missstände anzuschauen und mein Leben umzukrempeln, um zurück zu mir zu finden. Um die Verbindung zu mir wiederherzustellen. Durch die Essstörung und meine Recovery habe ich gelernt, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Und ich glaube, dass diese Selbstakzeptanz ausschlaggebend dafür ist, dass ich heutzutage gerne Zeit mit mir verbringe. Dass ich gerne allein bin und sogar sehr gut allein sein kann, ohne mich einsam zu fühlen. Ich bin überzeugt, dass Alleinsein sogar etwas ist, das mich „besser“ darin macht, „gemeinsam“ zu sein.
Weil ich mich heute akzeptiere, wie ich bin, habe ich nicht mehr das Gefühl, mich verstellen zu müssen. Ich bin einfach Saskia. Es war lange schwer für mich, nachzuvollziehen, wieso sich viele meiner damaligen „Freunde“ aufgrund der Essstörung, des Heilungswegs und meiner damit einhergehenden Weiterentwicklung von mir abgewendet haben. Mittlerweile weiß ich, dass jeder Mensch individuell ist und auch sein darf. Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Daher kann die Chemie nun mal nicht immer stimmen. Wer mir auf meinem Weg den Rücken zugekehrt hat, mochte die Kopie von mir. Mochte die Saskia, die sich verstellt hat. Diese Person bin ich nicht mehr und das ist auch gut so.
Worauf es ankommt, ist, dass ich meine Familie, meinen Freund und eine Handvoll Freunde habe, die immer hinter mir standen, meine Entwicklung mit mir durchgemacht haben und heute genau die Eigenschaften an mir schätzen, die ich über Jahre zu unterdrücken versucht habe.
Was du tun kannst, wenn du dich einsam fühlst
Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, dass es im ersten Schritt (wie so oft) darum geht, ein Bewusstsein zu schaffen. Versuche das Gefühl der Einsamkeit anzunehmen, ohne es zu be- oder im schlimmsten Fall sogar abzuwerten. Wenn du dir die Schuld dafür gibst, dich in eine Situation gebracht zu haben, in der du dich einsam fühlst, verstärkst du nur das Gefühl der Trennung. Was du verstehen darfst, ist, dass die Einsamkeit wie die Essstörung letztendlich nichts ist, das dir schaden möchte. Sie macht dich einzig und allein darauf aufmerksam, dass Verbindung fehlt. Zu anderen oder zu dir. Vielleicht auch zu beidem.
Andere kannst du nicht verändern. Deswegen darfst du erst einmal bei dir anfangen. Fang an dich gut um dich zu kümmern. Sorge gut für dich. Die Verbindung zu dir selbst wird dich – vielleicht auf direktem Wege, vielleicht auch auf Umwegen – zu anderen führen. Wie schon gesagt: Auch ich verbringe nach wie vor gerne Zeit allein. Das heißt aber nicht, dass ich mich nie verabrede. Je weiter ich auf meinem Heilungsweg komme, desto mehr Lust habe ich, mich wieder mit meinen Freunden zu treffen, etwas mit meiner Familie zu unternehmen oder Zeit mit meinem Freund zu verbringen.
Allein essen / Allein wohnen mit Essstörung
Während der Essstörung habe ich die Zeit, in der ich allein war, mit sehr destruktiven Handlungen, Verhaltens- oder Denkmustern gefüllt. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, mir etwas Gutes zu tun. Zu groß war der Selbsthass und das Gefühl, mich auf eine Art bestrafen zu müssen. Ich bin recht früh von zu Hause ausgezogen und dachte damals damit das große Los gezogen zu haben. Endlich keiner mehr, der mich kontrolliert. Endlich selbst dafür verantwortlich sein, wann, was und wie viel ich esse. Oder eben nicht esse. Am Anfang meiner Recovery war die Versuchung, den essgestörten Gedanken nachzugehen, sobald mein Freund einmal nicht zu Hause war, riesengroß. Je stärker die Verbindung zu mir im Laufe meines Heilungsprozesses wurde, desto weniger haben diese Gedanken noch eine Rolle gespielt.
Heute ist es für mich selbstverständlich, gut für mich zu sorgen - auch wenn ich allein bin. Inzwischen genieße ich es sogar, diese Zeit ganz bewusst zu nutzen, um beispielsweise mein Lieblingsessen zu kochen, einen schönen Film anzuschauen, mich kreativ zu beschäftigen oder auch einfach mal an die Decke zu glotzen und nichts zu tun.
Ich kenne die Kehrseite der Medaille, deshalb weiß ich, dass allein wohnen und essen große Challenges sein können. Letztendlich ist es einzig und allein Einstellungssache: Gibst du dem essgestörten, destruktiven Anteil nach oder versuchst du diese Herausforderungen als eine Chance für Wachstum auf deinem Heilungsweg zu sehen? Erinnere dich daran, dass du dich gut um dich kümmern darfst. Ob du allein bist oder nicht. Du brauchst niemanden, der dich daran erinnert, geschweige denn dir die Erlaubnis gibt, zu essen. Zu essen ist dein Geburtsrecht.
Joyful July - 31 Tage, 31 kleine Challenges
In meiner Instagram-Umfrage letzte Woche habe ich gefragt, ob es dir auf deinem Weg aus der Essstörung helfen würde, dich deinen Ängsten gemeinsam mit anderen zu stellen. 94% der Personen, die an der Umfrage teilgenommen haben, haben mit „Ja“ geantwortet. Das freut mich so sehr, weil Simona, Isa und ich im Juli den Joyful July ins Leben rufen werden:
Ab dem 01.07. findet ihr auf den Instagram-Accounts von Simona, Isa und mir jeden Tag eine neue Tageschallenge. Die Challenges betreffen die verschiedensten Bereiche. Es geht also nicht nur ums Essen und die Recovery, sondern auch um Wohlbefinden, Selfcare, inneres Wachstum und darum, dein Selbstbewusstsein zu steigern. Wir laden dich ein, kostenfrei bei den Challenges, die sich für dich richtig und stimmig anfühlen, mitzumachen.
Gemeinsam statt einsam.
Gemeinsam stark.
Joyful July.
Wir freuen uns unglaublich auf dich. Das wird ein toller Juli und ein super Startschuss für einen grandiosen Sommer.
Alles Liebe,
deine Saskia
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Doris (Dienstag, 22 Februar 2022 21:45)
Toller Beitrag! Das Einsamkeitsgefühl hatte ich bewusst nie so wahr genommen aber auch trotz, dass ich oft unter Menschen war, war ich einsam. Durch die Recovery merke ich, wie viel Kraft es auch gekostet hat, mich damit auseinander zu setzen. Das Akzeptieren ist ein wichtiger Schritt. ♥️ Danke für die Sensibilisierung dafür! Liebe Grüße