In letzter Zeit habe ich sehr viel über das Thema „Beruf“ nachgedacht. Schaut man sich das Wort einmal genauer an, erkennt man, dass darin auch das Wort „Ruf“ steckt. Wer ruft, ist unsere innere Stimme. Unsere Seele. Es gibt Menschen, die – bewusst oder unbewusst – sehr stark mit ihrer inneren Stimme verbunden sind, ihr folgen, ihren Weg gehen und glücklich sind.
Es gibt aber auch Menschen, die den Kontakt zu ihrer inneren Stimme verloren haben oder sie einfach ignorieren. Viele werden durch schwierige Lebensumstände oder Krisen dazu gezwungen, hinzuschauen und zu -hören. Dann heißt es: Irgendetwas „stimmt“ nicht mehr und es ist an der Zeit, etwas zu verändern.
Ich habe letztes Jahr meinen Büro-Vollzeitjob gekündigt, um zu heilen und um mir Gedanken darüber zu machen, wer ich sein möchte in dieser Welt. Eigentlich wusste ich schon als Kind, dass ich vom Schreiben leben möchte. Mit der Zeit habe aber auch ich den Kontakt zu meiner inneren Stimme und damit mein Ziel aus den Augen verloren.
In dem Moment, in dem ich mich entschieden habe, meine Fähigkeiten und mein wahres Selbst nicht länger zu leugnen und eine Möglichkeit zu finden, meinen Berufswunsch Realität werden zu lassen - trotz Schulabbruch und einer Ausbildung in einem komplett anderen Bereich - sind unglaublich viele Wunder passiert. Es haben sich Türen geöffnet und Dinge ergeben, an die ich vorher nie geglaubt hätte.
Seit Anfang des Monats arbeite ich nun als Journalistin. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar ich bin, das machen zu können, was ich schon immer machen wollte. Gleichzeitig bin ich aber auch dankbar, dass mein Herz meinen Wunsch niemals vergessen und mich eines Tages lautstark darauf aufmerksam gemacht hat, dass es an der Zeit ist, wieder hinzuhören und meiner inneren Stimme zu folgen.
Natürlich ist es auch für mich eine Umstellung, nach einem Jahr Pause wieder zu arbeiten und einen komplett veränderten Alltag zu haben. Jedoch habe ich schon während meiner kaufmännischen Ausbildung 2014 gelernt, die Heilung meiner Essstörung und meinen Job bestmöglich miteinander zu vereinbaren. Und gerade, weil ich mich in den letzten Wochen noch einmal intensiver mit dieser Thematik auseinandergesetzt und überlegt habe, was damals gut geklappt hat und was ich aus heutiger Sicht anders machen würde, möchte ich heute in einem Q&A auf deine Fragen zur Vereinbarkeit von Recovery und Beruf sowie damit einhergehenden alltäglichen Belastungen wie Stress oder Leistungsdruck eingehen.
1.) Hast du wegen der Essstörung Lücken in deinem Lebenslauf
und wenn ja, wie gehst du damit um?
Oh ja, die habe ich. Nach meinem Klinikaufenthalt bin ich zur Schule zurückgekehrt, habe keinen Anschluss mehr gefunden und Anfang 2014 entschieden, die Schule frühzeitig zu beenden. Im selben Jahr habe ich eine Ausbildung angefangen, die ich ein gutes halbes Jahr später wieder abgebrochen habe. Du siehst also: Auch mein Lebenslauf ist alles andere als geradlinig.
Lange Zeit habe ich mich dafür geschämt, weshalb ich mir in (Vorstellungs-)Gesprächen immer eine Ausrede einfallen lassen und gelogen habe. Vom Auslandsaufenthalt über die Pflege eines Familienmitglieds war alles mit dabei. Ich bin damit immer durchgekommen, verstehe heute aber, dass ich damals geglaubt habe, mit der Wahrheit weniger wert zu sein. Die liebe Kira von Soulfood Journey hat vor Kurzem eine Umfrage auf Instagram zu diesem Thema erstellt und erläutert, dass jede Lügengeschichte deinem Unterbewusstsein suggeriert, dass es etwas gibt, wofür du dich schämen musst und das nicht erzählt werden darf. Das ist natürlich Futter für deine Essstörung.
In meinem jetzigen Job war ich ehrlich, was die Lücke in meinem Lebenslauf angeht. Das liegt zum einen daran, dass es für mich aufgrund meines Blogs, Podcasts und der Präsenz auf Instagram „normal“ geworden ist, offen und ehrlich über meine Essstörung zu sprechen. Zum anderen aber auch daran, dass ich mir eine Welt wünsche, in der man sich nicht für psychische Erkrankungen schämen muss. Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen, oder nicht?
In jedem ehrlichen Gespräch über die eigene Essstörung können wir die Gesellschaft aufklären. Es wird vermutlich immer Menschen geben, die auf psychische Erkrankungen, insbesondere Essstörungen, mit Unverständnis und Vorurteilen reagieren. Meiner Meinung nach solltest du dir bei Unverständnis und Vorurteilen die Frage stellen, ob du es bist, der oder die nicht zu diesem Arbeitgeber passt oder eher umgekehrt.
Ganz ehrlich: Wir haben einen Schulabschluss, eine Ausbildung, studiert oder einen guten Beruf. Das macht uns aber noch lange nicht zu Wundermenschen, die keinerlei Probleme haben (dürfen). Psychische Erkrankungen machen keinen Halt vor finanziellem Reichtum, einer bestimmten Herkunft oder dem Berufsalltag.
Kira hat in ihrer Umfrage auf Instagram eine mögliche Antwort auf die Frage „Sie haben eine Lücke im Lebenslauf, können Sie diese erklären?“ geteilt. Diese fand ich so beeindruckend, dass ich sie gerne an dieser Stelle zitieren möchte:
2.) Wie schaffe ich es, trotz der alltäglichen Belastungen durch Beruf, Studium oder Schule am Ball zu bleiben
(vor allem in Bezug auf das Essen)?
Alltägliche Belastungen machen (leider) keinen Halt vor psychischen Erkrankungen. Die Welt einen Moment anhalten, heilen und anschließend weitergehen wäre zwar schön, ist aber eine Wunschvorstellung. Ich war lange Zeit immer nur so lange stabil wie im Außen alles gut war. Jede Veränderung, jede Herausforderung hat sich auf direktem Wege auf mein Essverhalten, mein Bewegungspensum und meine Stimmung ausgewirkt.
Eines Tages habe ich mir die Frage gestellt, ob das die Art ist, auf die ich mein Leben führen möchte. „Funktionieren“, solange alles gut ist und jedes Mal daran kaputt gehen, wenn nicht. Mir wurde klar, dass ich so niemals ein erfülltes und glückliches Leben führen könnte, weil das Leben nicht nur für mich, sondern für jeden von uns immer wieder neue Aufgaben bereithält. Stillstand gibt es nicht. Und das ist doch auch gut so, weil wir uns andernfalls nicht weiterentwickeln und über uns hinauswachsen könnten.
In dem Moment, in dem ich mich wahrhaftig und bedingungslos für die Heilung meiner Essstörung entschieden habe, habe ich Heilung zur höchsten Priorität gemacht. Ich habe keine Ausreden wie „Keine Zeit zum Essen!“ mehr gelten lassen.
Nach einiger Zeit hatte ich eine für mich passende Routine gefunden: Morgens bin ich etwas früher aufgestanden, um noch vor der Arbeit zu frühstücken. Für mittags oder zwischendurch, habe ich mir etwas vorbereitet, manchmal auch unterwegs etwas gekauft. In der Regel waren das Gerichte, die schnell gehen und sich auch verhältnismäßig schnell essen lassen. Ich habe rechtzeitig erkannt, dass ich mir mit Volume-Food, sprich Tonnen von Gemüse und Obst oder Maiswaffeln keinen Gefallen tue. Zum einen, weil es mir unangenehm war, immer viel länger am Mittagstisch zu sitzen als meine Kollegen. Zum anderen, weil ich meine vorbereiteten Portionen in der Pausenzeit manchmal einfach nicht geschafft habe. Auch wenn es kopfmäßig schwer war, habe ich das Gemüse in meinen Mahlzeiten reduziert.
Zum Mittag gab es meistens Milchreis, Overnight-Oats, Brot oder Brötchen, Couscous-, Reis- oder Nudelsalate und Wraps.
Meine liebsten Snacks waren Nüsse, Schoko-Reiswaffeln, Müsliriegel, Kuchen oder Muffins, Banane mit Nussmus, aber auch Smoothies.
Kennst du schon die von mir für dich erstellen Beispiel-Ernährungspläne? Die vorgeschlagenen Gerichte eignen sich ideal zum Mitnehmen. Falls du also noch mehr Inspiration möchtest, schau gerne vorbei.
Natürlich hatte ich in meinem damaligen Beruf eine recht privilegierte Situation. Ich hatte geregelte Pausenzeiten und einen eigenen Arbeitsplatz, sodass ich ohne Probleme auch mal nebenher essen konnte. Hat das Telefon an einem Tag besonders oft geklingelt oder kamen mehr E-Mails zum Bearbeiten rein als üblich, konnte aber auch ich mich nicht immer an meine Essenszeiten halten. Anfangs hat mich das total aus der Bahn geworfen. Ich hätte lieber auf einen Snack verzichtet, als ihn auch nur 10 Minuten später zu essen als sonst. Unserem Körper ist letztendlich egal, wann er genährt wird. Eine Stunde hin oder her mag für unseren Kopf und den essgestörten Anteil ein Drama sein. Für unseren Körper und den gesunden Anteil in uns spielt das aber wirklich keine Rolle. Essenszeiten können als Richtlinien dienen, sollten aber niemals in Stein gemeißelt werden. Je weiter ich auf meinem Heilungsweg gekommen bin, desto mehr habe ich das verinnerlicht und desto weniger habe ich mich noch auf meine Essenszeiten versteift.
Falls du einen körperlich sehr anstrengenden Beruf hast, kann es natürlich helfen, dir eine Auszeit zu nehmen und dich krankschreiben zu lassen. Klar wirst du deine Essstörung nicht innerhalb von wenigen Wochen heilen können, sodass eine kurzzeitige Krankschreibung dir womöglich wie ein Tropfen auf den heißen Stein vorkommt. Allerdings kann dir die Auszeit helfen, einen Anfang zu machen und dir zu überlegen, wie du deinen Heilungsweg und den Arbeits-/Studien-/Schulalltag zukünftig miteinander vereinbaren und meistern kannst.
3.) Mir ist es unangenehm, vor meinen KollegInnen, KommilitonInnen und MitschülerInnen zu essen. Wie hast du das gemacht?
Zunächst einmal möchte ich dir sagen, dass du damit nicht allein bist. Ich kenne das selbst noch sehr gut. KollegInnen, KommilitonInnen und MitschülerInnen kann man sich leider nicht aussuchen. Es wird immer Menschen geben, die wenig bis gar kein Taktgefühl haben. Auch ich durfte mir weit mehr als einmal so etwas wie „Bist du schon wieder am Essen?“ anhören. In meiner alten Firma war es zudem gang und gäbe, das Essen der KollegInnen auf Herz und Nieren zu prüfen. Es wurde nicht nur geschaut, was die anderen dabei haben, sondern auch kommentiert.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, einmal eine Banane gegessen zu haben, woraufhin einer meiner Kollegen meinte, dass Bananen dick machen. Manchmal wurde mir aber auch gesagt, dass ich doch „einfach mal ‘ne Pizza essen soll“. Ich war zwiegespalten, habe mich geschämt und beobachtet gefühlt, wenn ich mein Essen auspackte. Irgendwann habe ich mich nicht mehr getraut, genau das zu tun und mich zum Essen häufig im Auto oder auf der Toilette verkrochen.
Damals habe ich keinen guten Weg für mich gefunden. Dir würde ich aus heutiger Sicht aber Folgendes raten: Steh zu dir! Essen ist das normalste der Welt, und gerade weil es für den Großteil der Menschheit so banal ist, machen sich deine KollegInnen, KommilitonInnen oder MitschülerInnen gar keine Gedanken darüber, dass ihre Kommentare dich verletzen oder triggern können. Indem du zu dir stehst, stärkst du deinen gesunden Anteil. Im Laufe der Zeit werden die Kommentare immer mehr an dir abprallen, zumal die Menschen um dich herum die Lust am Kommentieren verlieren, sobald sie merken, dass du darauf entweder gar nicht mehr oder sogar äußerst schlagfertig reagierst. Ein Satz, der mir in solchen Situationen immer hilft – egal, ob laut ausgesprochen oder nur gedacht: „Ich bin okay. Mein Körper ist okay. Was nicht okay ist, ist dieser Kommentar!“
Ganz bestimmt gibt es mindestens eine Person in diesem Umfeld, mit der du dich gut verstehst. Es kann helfen, dich dieser Person anzuvertrauen, die Pausen mit ihr zu verbringen und offen darüber sprechen zu können, was dir schwerfällt. Kommunikation ist für mich ein wichtiger Schlüssel auf meinem Heilungsweg.
4.) Die anderen merken bestimmt, dass ich mich körperlich verändere. Wie soll ich damit umgehen?
Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht so sicher, ob die anderen wirklich bemerken, dass du dich körperlich veränderst. Ich verdeutliche das anhand eines Beispiels: Beobachtest du ein Kind im Wachstumsprozess, fällt dir in der Regel nicht auf, dass es Tag für Tag ein kleines bisschen größer wird. Nur wenn du das Kind über einen Zeitraum von mehreren Monaten gar nicht und dann plötzlich wieder siehst, wirst du dessen Wachstum erkennen.
Wie das Wachstum eines Kindes verläuft auch deine Zunahme schleichend und passiert nicht über Nacht. Weil deine Kollegen, Kommilitonen oder Mitschüler dich so gut wie jeden Tag sehen, wird deine körperliche Veränderung gar nicht allzu sehr auffallen.
Falls du einen längeren Klinikaufenthalt oder eine längere Krankschreibung hinter dir und in dieser Zeit zugenommen hast, wird dein Umfeld das vermutlich bemerken, ja. Die Frage ist: Was ist so schlimm daran?
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, mir über die Essstörung eine Art Identität geschaffen zu haben. In der Schule war ich bekannt als „die mit der Essstörung“, was mir den Heilungsweg nicht unbedingt erleichtert hat. Ich hatte so unglaubliche Angst, diese Identität zu verlieren, dass ich einfach keinen Anfang gefunden habe, mich von meinem Tiefstgewicht zu lösen.
Du bist nicht allein mit dieser Angst. Was ich dir mitgeben möchte, ist aber, dass du viel mehr als deine äußere Hülle bist. Wie deine Familie und deine Freunde schätzen auch deine KollegInnen, MitschülerInnen oder dein Chef deine inneren Werte: Deine Empathie, deine Neugier, deine Wissbegierigkeit, und und und...
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen, auf die es ankommt, sich nicht nur freuen zu sehen, dass es mir endlich besser geht, sondern, dass sie das sogar richtig abgefeiert haben. Denn: Je mehr ich zugenommen habe und je weniger Raum die Essstörung letztlich eingenommen hat, desto mehr wurde ich wieder zu mir. Zu meinem wahren Selbst.
Ich sage bewusst „die Menschen, auf die es ankommt“, weil es leider durchaus Menschen geben kann, die hinter deinem Rücken negativ über dich sprechen. Es darf dir egal sein. Du kannst und musst nicht jedem gefallen. Außerdem geht es um dein Leben. Willst du wegen Menschen, denen du es wahrscheinlich ohnehin nie recht machen kannst, wirklich darauf verzichten?
Mich haben Kommentare zu meiner Figur und insbesondere zu meiner Zunahme nur so lange getriggert, wie ich nicht 100% fein mit der Heilung meiner Essstörung war. In dem Moment, in dem ich mich bedingungslos für die Recovery entschieden habe, habe ich mich sogar über Kommentare gefreut oder sie zumindest wohlwollend hingenommen. Frage dich also auch, ob du die Zunahme bereits akzeptiert hast und dich darauf einlassen kannst. Du weißt ja, dass sie ein elementarer Bestandteil deines Heilungsweges ist: Ohne Zunahme geht es nur in den seltensten Fällen.
Fokussiere dich weniger auf die Zunahme selbst als auf das, was durch sie wieder möglich wird. Im beruflichen oder schulischen Kontext kannst du dich beispielsweise endlich wieder besser konzentrieren, anderen wirklich aufmerksam zuhören, du wirst automatisch selbstbewusster auftreten und offener durch die Welt gehen können.
5.) Wie gehst du mit Leistungsdruck um?
Was dieses Thema angeht, muss ich ehrlich gestehen, dass ich da auch noch eine Menge lernen darf. Als ich vor Kurzem meine Abschlussarbeit geschrieben habe, habe ich mich innerlich so unter Druck gesetzt, dass mein Körper mit einer Magenschleimhautentzündung reagiert und mir unmissverständlich gezeigt hat: Es reicht!
3 Fragen, die du dir vor Prüfungen oder anstehenden Aufgaben stellen darfst:
- Welche Erwartungen habe ich?
- Sind meine Erwartungen angemessen oder geht es auch etwas kleiner/weniger perfekt?
- Was ist das Schlimmste, das passieren kann?
So oft sitzt die Angst in unserem Kopf und lähmt uns. Ich fühlte mich vor meiner Abschlussarbeit so leer, hatte jeden Tag aufs Neue Angst, mich an meinen Laptop zu setzen, nichts zu schaffen und meine Angst, nicht gut genug zu sein, bestätigt zu sehen. Anstatt „einfach zu machen“, habe ich mich selbst sabotiert, mir Steine in den Weg gelegt und damit dafür gesorgt, dass es gar nicht klappen konnte.
Was mir geholfen hat, waren Meditationen, in denen ich in den Austausch mit meinem „zukünftigen Ich“ gegangen bin. Dein Herz und deine Seele wissen genau, welche Schritte die richtigen sind. Unter Stress und Druck haben wir oftmals aber kein Gehör für unsere innere Stimme. Eine Meditation kann den Kontakt und die Verbindung wiederherstellen.
Ich würde dir raten, dich zudem nicht zu sehr auf das Endergebnis zu fokussieren als darauf, was du im Prozess lernen kannst. Über dich, deine Fähigkeiten, dein Selbstbild, ...
Kleine Lernerfolge darfst du außerdem feiern. Eine geschriebene Prüfung oder eine eingereichte Praxisarbeit sind bemerkenswert, ja. Aber: Der Weg ist das Ziel. Halte jeden noch so kleinen Erfolg fest, indem du dir morgens die Frage stellst: An welches Erfolgserlebnis kann ich mich erinnern? Was habe ich bereits geschafft?
Solltest du wirklich merken, dass du mit einer Aufgabe nicht rechtzeitig fertig wirst, der Druck und Stress womöglich sogar einen Rückfall provozieren, hilft meistens nur eines: Eine offene Kommunikation. Der Weg aus der Essstörung ist kein Zuckerschlecken. Er bedarf einer Menge Energie, weshalb du dich nicht dafür schämen musst, zuzugeben, dass du nicht mehr kannst. Dass du überfordert bist. Das ist kein Eingeständnis von Schwäche. Im Gegenteil! Es zeigt, wie stark du bist und vor allen Dingen, dass du und deine Gesundheit oberste Priorität für dich haben.
6.) Wie kann ich mit Situationen umgehen, in denen ich von meinem Chef, Lehrer, Prof, etc. bewertet und ggf. sogar kritisiert werde?
Für dein Ego sind solche Situationen natürlich gefundenes Fressen. Es wird in diesen Momenten besonders laut und sagt so etwas wie „Siehst du, habe ich dir doch gesagt, dass du nicht gut genug bist.“
Mit meiner Antwort auf diese Frage möchte ich dein Ego besänftigen, denn: Die Bewertung oder Kritik hat in den seltensten Fällen etwas mit dir als Person zu tun! Es gehört zum Job deines Chefs oder Lehrers, dich zu bewerten und gegebenenfalls auch zu kritisieren. Konstruktive Kritik dient deinem Wachstum. Die Betonung liegt bewusst auf konstruktiv. Dass Kritik seitens eines Vorgesetzten niemals unter die Gürtellinie gehen sollte, dürfte klar sein.
Du darfst immer nachfragen, dir die Kritik erläutern lassen, damit du die Situation mit neuen Erkenntnissen – sei es über dich und deine Arbeit oder aber schlichtweg über dein Gegenüber – verlassen kannst. Ebenso kannst du nach alternativen Lösungsvorschlägen fragen. Manchmal braucht es nur einen einzigen Denkanstoß, der dir eine ganz andere Perspektive ermöglicht. Vielleicht ist dir das, was dein Gegenüber angesprochen hat, selbst noch nie aufgefallen. Vielleicht hat dein Gegenüber auch mehr Erfahrung und damit einen etwas umfassenderen Blick auf deine Aufgabe.
Solltest du nach sorgfältiger Überlegung wirklich anderer Meinung sein als dein Chef, dein Lehrer, dein Prof oä., darfst du selbstverständlich für dich einstehen, deine Sicht vertreten und diese auf einer sachlichen Ebene zum Ausdruck bringen. Ehrlich gesagt fällt das auch mir noch schwer. Vermutlich ist es wie mit allem: Ein Prozess!
Übrigens: Falls die Bewertung oder Kritik noch sehr lange in dir nachhallt, mache dir bewusst, dass sie nur eine von ganz vielen Erfahrungen widerspiegelt. Erinnere dich an all die Dinge, die du bereits erfolgreich hinter dich gebracht hast. An all die Dinge, die schon richtig gut geklappt haben. An all die Erfolge, die du in deinem Leben bereits verzeichnet hast. Ich bin mir ganz sicher, dass es davon eine Menge gibt.
7.) Wie schaffe ich es, mich nicht mit meinen KollegInnen, KommilitonInnen und MitschülerInnen zu vergleichen?
Ich möchte dir eine Geschichte von einem Elefanten-, Affen-, Robben- und Giraffenkind erzählen, die gemeinsam in die Schule gegangen sind. Dort bekamen sie alle die gleiche Aufgabe: Sie sollten auf einen Baum klettern. Im ersten Moment scheint das fair zu sein, immerhin bekommen alle Tierkinder die gleiche Aufgabe gestellt. Allerdings bringen sie vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen, Stärken und Schwächen mit. Während es für das Affenkind kein Problem darstellt, auf den Baum zu klettern, werden sich die anderen Tierkinder sehr schwer damit tun. Dafür ist das Robbenkind ein guter Schwimmer, der Elefant ist besonders stark und die Giraffe hat den besten Weitblick.
Wie mit den Tierkindern in der Geschichte ist es auch mit uns Menschen in der Schule, im Studium oder bei der Arbeit. Ich habe mich irgendwann damit abgefunden, dass ich in diesem Leben kein Mathe- oder Chemieprofi mehr werde, weil es mir a) keinen Spaß macht und ich mich b) lieber auf meine Stärken konzentriere, die nun mal eher im kreativen Bereich liegen.
Der Nachteil am deutschen Bildungssystem ist, dass wir oftmals alle über einen Kamm geschert werden. Es wäre wünschenswert, Begabungen individuell zu fordern und zu fördern, doch da sind wir noch nicht. Wir können uns über diesen Fakt und uns selbst aufregen, weil wir nie die 1 in Mathe schreiben werden, von der wir glauben, dass sie von uns erwartet wird. Wir können es aber auch akzeptieren und verstehen, dass die 1 in Mathe für das, was wir mit unserem Leben anfangen wollen, ohnehin von keiner großen Bedeutung ist.
Du darfst verstehen, dass Vergleiche unglaublich viel Energie kosten. Zudem kannst du in den Vergleichen, die du anstellst, in der Regel gar nicht gut abschneiden, weil sie aus einem Mangel heraus geschehen. Wenn wir uns vergleichen, picken wir uns einen Aspekt oder eine Eigenschaft eines Menschen heraus, vergleichen uns damit, nehmen dann den nächsten Menschen, einen neuen Aspekt und vergleichen uns wieder. Wir vergleichen nie den gesamten Menschen mit seinem gesamten Hintergrund, allen Stärken und allen Schwächen. Können wir auch gar nicht, weil wir viele dieser Aspekte gar nicht kennen.
Statt aus einem Mangel heraus einen Vergleich anzustellen, kannst du versuchen, andere für deren Leistungen anzuerkennen und dich wiederum für deine guten Leistungen anerkennen zu lassen. Du kannst zum Beispiel mit MitschülerInnen oder KommilitonInnen gemeinsam lernen, dir etwas von ihrem Wissen aneignen, wenn ihnen ein Fach besser liegt als dir und sie andersherum an deinem Wissen teilhaben lassen, wenn es ein Feld gibt, das dir leichter fällt.
Ich würde mich freuen, wenn du deine wertvollste Erkenntnis als Kommentar unter diesem Blogartikel oder auf Instagram (@buntezebras) mit mir teilst. Falls du noch eine Frage auf dem Herzen kannst, schick sie mir gerne, damit ich sie für das nächste Q&A aufnehmen kann.
Alles Liebe,
deine Saskia
Kommentar schreiben